Weinähr sagte: Adieu, alte Schule
14. September 2008
Hubert Bender (links) zeigte in spannenden Experimenten, dass er im Physikunterricht viel gelernt hat.
Noch einmal kehrte Leben ein in die alte Weinährer Dorfschule. Mit einem großen Fest nahm die Weinährer Bevölkerung am Samstag Abschied von dem Gebäude, in dem Generationen von Schülern Lesen, Schreiben und Rechnen gelernt haben. Dabei wurde deutlich: Schule — das ist weit mehr als bloß eine Lehranstalt. Es ist ein Stück Jugend, das jeder Mensch erlebt hat, ein Stück der eigenen Lebensgeschichte, mit dem man sich nach Jahrzehnten noch verbunden fühlt.
So erklärt sich denn auch der enorme Andrang beim „letzten Weinährer Schulfest“. 24 Jahre nachdem die letzten Schüler das Gebäude in der Bornstraße verlassen haben, trugen die Weinährer ihre alte Dorfschule feierlich „zu Grabe“. Denn in den nächsten Monaten wird sie abgerissen, um Platz zu machen für einen Dorfplatz.
Kaum waren die Pforten geöffnet, nahmen sie ihre alte Schule wieder in Besitz. Unter ihnen auch viele ehemalige Weinährer, die heute zum Teil weit entfernt wohnen und hier vor Jahrzehnten die Schulbank gedrückt haben. Sogar vier ehemalige Lehrer waren gekommen, um Abschied zu nehmen: Horst Houben aus Nassau (1946-48), Josef Kläser aus Kadenbach (1959-65), Jürgen Hoppen (1965) und Ludwig Düker (1969-84). Ihnen überreichte Ortsbürgermeister Mathias Schliemann einen von Winzermeister Edmund Scherer eigens für diesen besonderen Tag kredenzten Wein.
Der Klassenraum im Erdgeschoss sah fast so aus, als sei hier am Vortrag der letzte Unterricht gehalten worden. Da standen Tische und Bänke sauber in Reih und Glied ganz so wie früher; Hans Mertlich hatte mit Kreide seinen Namen in Sütterlin-Schrift an die Tafel geschrieben, da waren physikalische Instrumente aufgebaut, so als hätte der Lehrer sie eben erst benutzt. Auf besonderes Interesse stießen die vielen schwarz-weißen Schülerfotos aus alten Zeiten, die Hubert Bender auf PC ausgedruckt hatte. „Kennst Du die, kennst Du den?“ war eine häufig zu hörende Frage. Zeitungsausschnitte, alte Bücher, Turngeräte, eine Landkarte und die alte Rechenmaschine weckten viele Erinnerungen. Ebenso alte Zeugnisvordrucke und ein Heft mit dem Aufdruck „Schulbedarfsartikel“.
Dass Schule beileibe nicht immer nur Spaß gemacht hat, zeigte ein originelles Foto mit der Aufschrift „In dieser Ecke stand ich auch“. Wer wollte, konnte dort unterschreiben — bis zum Abend passte kein Name mehr auf den Zettel. Aus der Ferne der Zeit wurde aber auch diese Erinnerung mit Humor getragen. So mancher ehemaliger Schüler war überrascht, seine in Schulzeiten selbst gemalten Bilder vorzufinden, die die Jahrzehnte gut erhalten überdauert hatten. Das weckte das sprichwörtliche Kind in vielen Erwachsenen. Aber auch viele alte Zeugnishefte waren noch vorhanden: Sie wurden an diesem Nachmittag an ihre Eigentümer ausgehändigt, zum Teil aus den Händen der anwesenden ehemaligen Lehrer. Ein Spaß für alle, ganz ohne Angst vor schlechten Zensuren, wie ein Besucher witzelte.
Aber auch nachdenkliche Aspekte kamen nicht zu kurz: „Ich stehe hier mit einem lachenden und einem weinenden Auge“, bekannte Bertold Arnold, selbst kurzzeitig ehemaliger Schüler, der sich in den letzten Jahren für die Erhaltung des Gebäudes stark gemacht hatte. Er fragte sich, ob die alte Schule vielleicht zu retten gewesen wäre. Er kam zu dem — für manche sicher unbequemen — Schluss, dass es sich hier um einen Fall der fahrlässigen Tötung handelte, verursacht von jahrzehntelangen Versäumnissen, von Halbherzigkeiten und von Phlegma. Die heiteren Stunden überwogen an diesem Tag aber eindeutig: Dafür sorgte Bertold Arnold sogleich selbst mit dem amüsanten Vortrag aus Wilhelm Buschs „Max & Moritz“, passend zum Thema des Tages rezitierte er den vierten Streich, der von Lehrer Lämpel handelt, dem die beiden Lausbuben bekanntlich übel mitspielen. Interessant auch die Lesung aus einem Roman von Walter Kempowski, der im übrigen selbst Schullehrer war.
Dicht umringt wurde schließlich Hubert Bender, der physikalische Experimente vortrug, und zwar so, dass jeder sie verstehen konnte. Ohne Zweifel ein pädagogisches Talent, das sich an diesem Nachmittag zeigte. Bender demonstrierte, dass Strom einen Draht zum Brennen bringen kann, dass Magnete Eisenspäne zu eigentümlichen Figuren anordnen können, dass ein schnell gedrehter Farbkreis zu einem weißen Punkt wird oder auch dass eine Stimmgabel laut im Kopf schallt, obwohl alle Umherstehende gar nichts hören.
Gegen Abend wurden von Auktionator Volker Ludwig mehr oder weniger wertvolle Gegenstände aus dem Bestand des alten Schulhauses versteigert; der Erlös kommt dem Dorfplatz zu Gute. Ebenso wie der Verkauf von Kaffee, Kuchen und Getränken, die an diesem denkwürdigen Tage gereicht wurden. Den Kuchen hatten im übrigen unter anderem die Weinährer „Schnooge“ gebacken. Lecker. Richtig gemütlich wurde es, als am Abend Sven Bender (Weinähr) und Hans-Peter Dreis (Nassau) als „die Zwei“ alte und neue Stimmungshits spielten — ohne Gage und zu Gunsten der Dorfgemeinschaft.
Am Ende schlich sich bei dem einen oder anderen etwas Wehmut ein, als man sich auf den Heimweg machte. Denn dieses ungewöhnlich gut besuchte Fest war wohl das letzte seiner Art. Das nächste Fest an gleicher Stelle dürfte anlässlich der Einweihung des neuen Dorfplatzes gefeiert werden.